Maria Martental: Einkehrtag über Brüche, Scherben und Scheitern

Der Einkehrtag in der österlichen Bußzeit in Maria Martental hatte in diesem Jahr als Thema: „Manches geht im Leben zu Bruch – Was machen wir mit den Scherben? – Die Gnade des Nullpunktes“. P. Konrad Flatau SCJ führte durch den Tag und fasst hier seine Gedanken zusammen.

„Wir Menschen geraten immer wieder in Krisen und in Erschütterungen des Lebens.  Der Tod eines lieben Menschen, ein Unfall, eine plötzliche Erkrankung, ein Misserfolg können uns aus der Lebensbahn werfen.

Menschliches Leben ist zerbrechlich

Wir erfahren: Menschliches Leben ist zerbrechlich und gefährdet. Immer wieder zerspringen Pläne, Träume, Erwartungen, Beziehungen zerbrechen, Vertrauen wird missbraucht.  In solchen Situationen zerbrechen meist die Bilder, die wir von selbst haben – und auch die, die wir uns von Gott gemacht haben. Uns wird der Boden unter den Füßen weggezogen. Wir verstehen uns und die Welt um uns nicht mehr. Etwas ist zu Bruch gegangen.

Wie gehen wir mit den Scherben um? Sie unter den Teppich kehren? Heimlich und notdürftig reparieren? Die zerbrochenen Teile entsorgen? Die Schuld auf andere abschieben?

In Japan gibt es die Keramik-Technik „Kintsugi“, die uns zeigt, wie man mit Scherben umgehen kann. Hier werden die Scherben mit einem speziellen Lack miteinander verbunden. Die so entstandenen Nähte, die wie Narben erscheinen, werden mit Gold bemalt. Das besondere bei dieser Keramik-Technik: Die Bruchstellen werden nicht kaschiert, sondern hervorgehoben und sichtbar gemacht – veredelt. Dadurch entsteht etwas Neues, das zwar anders, aber auch schön aussieht. Es ist gereift.

Schön in diesem Verständnis bedeutet: Nicht nur das Perfekte und Makellose wird betont, sondern das Unvollendete, das geheilt Verletzte wird sichtbar gemacht, dem man das Leben in seinen knorrigen Verwachsungen ansieht.

Dieser Umgang mit den materiellen Scherben lässt sich auch auf die Bruchstellen unseres Lebens übertragen: Auch diese sollen wir nicht „entsorgen“ oder kaschieren; wir können ehrlich und offen zu ihnen stehen – im Wissen darum, dass sie unser Leben reifen lassen und es wertvoll machen. Sie zeigen deutlich an, was uns passiert ist im Leben und uns geprägt hat.

Scheitern verarbeiten

Im philosophischen Bereich weist Hannah Arendt auf zwei menschliche Fähigkeiten hin, wie das Scheitern im Leben angenommen und verarbeitet werden kann: durch Verzeihen und Versprechen.

Verzeihen befreit davon, auf das Vergangene festgelegt zu bleiben; Versprechen zu machen und zu halten macht es möglich, sich der Zukunft zu stellen, also weiterzugehen. Verzeihen und Versprechen ermöglicht, das Leben verbindlich und sinnvoll zu gestalten – auch über menschliche Brüche hinweg.

Der Theologe und Naturwissenschaftler Teilhard de Chardin hat in seinen Schriften immer wieder vom Annehmen des Scheiterns gesprochen. Es geht in seinem Weltbild vor allem um die Hoffnung auf die Durchdringung der ganzen Welt mit der Liebe Christi. Er spricht von „Amorisation“ (= von der Liebe durchdrungen) oder von „Divinisierung“ (Vergöttlichung).  Zum Menschen gehört nicht nur das aktive Tun und Streben und Gestalten des Lebens, sondern auch das Erleiden. Die Begrenzungen und Störungen der Schöpfung müssen wir anschauen und damit umgehen.

Scheitern annehmen

Andere Theologen sprechen von der „Gnade des Nullpunktes“ (Johannes Tauler, Jürgen Werbick, Otmar Fuchs, Bischof Franz Kamphaus).  Das Zerbrechen und Scheitern wird mit der Annahme umgewandelt in einen Weg der Erneuerung. Wer sein Scheitern angenommen hat, kann etwas von der „Gnade des Nullpunktes“ erfahren. Durch das Scheitern können wir in Gott hineinfallen und das Scheitern kann der Beginn eines neuen Anfangs sein.

Der Theologe Karl Rahner betont immer wieder, dass uns Gott gerade im Untergang und in der Niederlage aufgehen kann. Man könnte fast von einem „Sakrament der Niederlage“ sprechen. Das Erlebnis der Niederlage kann uns Gott erfahrbar machen.

Der Psychologe C.G. Jung wagt sogar den Satz: „Der größte Feind der Verwandlung ist ein erfolgreiches Leben.“ Wer sich ausruht auf seinem nach außen hin tadellosen und erfolgreichen Leben, der steht in Gefahr zu erstarren. Es braucht eine Sensibilität für das, was in mir zerbrechen möchte, damit ich nicht stehen bleibe, sondern einen neuen Anfang wage.

Der geistliche Schriftsteller Henry Nouwen schreibt einmal: „Dort wo wir gebrochen sind, sind wir aufgebrochen für die Wahrheit. Es geht darum, die Perle in meiner Wunde zu entdecken. Dann wird meine Wunde zu etwas Kostbarem“.

Betrachtung in der Bibel

Biblisch gesehen ist das Thema immer wieder lebendig.

Bei dem Messiasbekenntnis des Petrus (Mk 8) spricht Jesus von seinem Leiden und von seiner Auferstehung. Petrus gibt zwar die richtige Antwort auf die Frage, für wen er den „Menschensohn“ halte. Aber er hat den Inhalt für sich noch gar nicht entschlüsselt. Jesus verweist ihn in die Nachfolge. Er muss den Weg mitgehen bis zum Ende, um zu verstehen.

Den beiden Emmausjüngern, die aus dem Katastrophenort Jerusalem fliehen, stellt Jesus die Frage: „Musste der Messias das nicht alles erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?“ (Lk 24,26) Mit ihrem Messias- und Gottesbild, das nur die strahlende Seite wahrnimmt („Er war mächtig in Wort und Tat“) und das angesichts des Sterbens am Kreuz zerbrochen ist, können sie Jerusalem als Ort des Todes und der zerbrochenen Hoffnung nicht mehr aushalten und fliehen. Lukas zeigt hier einen Weg auf, wie wir mit den eigenen Verwundungen umgehen können, ja müssen.

Mit der Betrachtung des „Brennenden Dornbusches“ und der Gestalt des Mose (Ex 3, 14) machten wir „Gottesberührungen“ im Alltag deutlich. Gott begleitet gemäß seinem Namen „Ich bin da, der ich da bin“.  In der Bibel gibt es Gipfelerlebnisse: Brennender Dornbusch, Verklärung Jesu auf dem Berg, Damaskuserlebnis des Paulus. Das Nachtragskapitel im Johannes-Evangelium (Kap. 21) mit dem reichen Fischfang ist ein Schlüsselbild für die Situation, in der wir heute als Kirche miteinander stehen.

In der Krise haben wir die Chance, uns neu auf den Kern der biblischen Botschaft auszurichten, auf Jesus Christus - so wie es die Jünger an diesem enttäuschenden Morgen taten. Sie ließen sich auf ihn ein, konnten alte festgefahrene Vorstellungen loslassen und ihn ganz neu wiederfinden als den Auferstandenen, der von jetzt an ihr Lebensinhalt wurde.

Realitätsgerecht müssen auch wir Leere und Ratlosigkeit zugeben und aushalten. Der Blick auf den Auferstandenen kann dafür Ansporn sein zur Neuorientierung. Denn letztlich ist allein ER glaubwürdig. Jesus ist das „Gütesiegel“ der Kirche und das „Gütesiegel“ Gottes. Und wir sind seine Zeugen.“

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